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Bedarf nach Hühnersuppe Folge 1
Was ein Hühnerhof mit Service Management zu tun haben kann. Folge 1 „Der Zwischenfall“
von Christof Huschens
- Bedarfsentstehung: Die Reise von der IT zum Hühnerhof
Kilian Richter fährt mit seinem Auto nach einem erfolgreichen und von typischen Erlebnissen geprägten Arbeitstag nach Hause, besser, zu seiner Unterkunft. Als externer Berater für Prozesse und IT Service Management hat er seinen ersten Tag beim Kunden hinter sich. Der geplante Workshop musste verschoben werden, weil, weil. Ja weshalb eigentlich? Eine greifbare Ursache für die Aufregung und hektische Betriebsamkeit blieb ihm verborgen. Nur das viele der geplanten Mitarbeiter irgendwo unterwegs waren und ganz eilige Dinge erledigen mussten, die völlig überraschend für alle waren.
Dafür war der Raum vorbereitet, aber leer. Bis auf zwei „Damen vom Support“, wie sie sich vorstellten. Irgendwann konnte man anfangen und sogar mit wenigen Störungen das Thema „Rollen und Prozesse“ bearbeiten. Alles in allem normal, nur alle 30 Minuten kam irgendjemand rein, oder stand auf oder oder. Eher selten für die Kunden, denn hier hat man nie mal auch nur 10 Minuten Ruhe. „Es ist halt bei uns agil!“, meinte ein Teilnehmer. Es hatte sich eher wie „Ätsch Eil“ angehört und Kilian verstand „Arsch geil“.
Wie agil alles war, erlebte er am Ende des Tages. Ganz gegen seine Gewohnheit hatte er sich nicht sofort um die Organisation oder gar um seine Unterkunft gekümmert. Nur um dann am Abend, deutlich nach dem geplanten Ende zu erfahren, dass man ein Zimmer reserviert hatte, aber er leider die Zugangskarte nicht erhalten hätte. Jetzt wäre da auch niemand mehr da.
Alles in allem kein ungewöhnlicher Tag, an dem die Situation durch das Engagement eines Mitarbeiters gerettet wurde. Seine Schwester hätte eine Hühnerzucht mit freien Appartements. Kurz Kilian war mit Frau Navi, Spitzname „Gleich_kommt_die_Ausfahrt“, unterwegs in völlig unbekannte Gefilde.
Seine Gedanken waren von einer Idee eingenommen, so zu sagen beflügelt: Ein Zuchtbetrieb für nahezu freilaufende Fleischhühner, alles Bio, mit Hofladen und kleinem Restaurant! So hatte der Organisator das Ziel beschrieben. Hühnersuppe oder Grillhähnchen? Andere Vorstellungen waren für Kilian, einem eher massigen Genussmenschen, kaum mehr zu denken. Bei dem Stress eher Hühnersuppe.
- Der steinige Weg zum Service
Eingecheckt in der kleinen Ferienwohnung war schnell und der Sommerabend lädt geradezu ein, das kleine Restaurant zu besuchen. Eine übersichtliche, aber ausreichend vielfältige Karte, natürlich dominiert von Hühnerprodukten und frischen Gemüse aus eigenem Anbau, war genau nach Kilians Vorstellung. Aber irgendetwas musst geschehen sein. Die wenigen Gäste wurden quasi im Laufschritt bedient und bei allen frischen Hühner-Gerichten hieß es: „Das dauert noch etwas, wir haben da Probleme! Und einen Zwischenfall“.
Problem? Zwischenfall? Das war das gewohnte Kampfgebiet in der IT von Kilian. Sein professionelles Berater-Ego oder der Besserwisser und ‹Bezeichungsakrobat› – im Volksmund ITSM Spezialist – war geweckt. Aufstehen und die wenigen 100 Meter zur Aufzucht gehen, war unvermeidlich. Kilian wollte sich ja nur sein Abendessen ansehen.
Sein Weg, vorbei an dem leeren Hofladen mit spärlichem Angebot, immer dem lauter werdenden Rufen nach führt ihn zu einer großen Fläche, an dem die Mitarbeiter mit ausgebreiteten Armen, Netzen und beweglichen Zäunen eine unbestimmbare Menge von Hühnern einfingen. Genauer sie versuchten es. Denn diese Tiere sind mit etwa 3kg Gewicht und recht hohen Beinen, gut genährt und den Freilauf gewohnt, einfach keine lahmen halb toten Eierlegemaschinen. Der Zucht sei Dank konnten sie nicht wirklich fliegen, sondern nur Flattern.
Ein Zwischenfall? Kilian sah durch seine ITSM-Brille geschätzte 50 Incidents, die als Produkt, Output eines Prozesses und Teil eines Services im Hofladen am Hacken oder im Schlachthaus dem „definite Hardware Store“ hängen sollten. Deshalb war sein Service Request nach einem Hähnchen nicht erfüllbar.
Kilian schalt sich selbst wieder „Fachidiot“, sogar „Spinner“ für diesen begrifflichen Fehlgriff. Aber irgendwie war das reizvoll. Konnte der sein Lieblingsthema „Service Management“ hier anwenden? Was würde er in der IT machen?
Kilian hält eine Mitarbeiterin, die ein Huhn unter dem Arm trägt, an und fragt: „Was haben Sie vor? Klar Hühner fangen. Aber was passiert mit dem Huhn?“ „Na zurückbringen in den Pferch.“
„Aber ich wollte doch essen, wäre es nicht dringender, das Tier zu schlachten und in die Küche zu bringen?“
Mit verständnislosen Blick und einem gemurmelten „Erst alle fangen, dann können wir wieder Kochen“, verschwindet Sie in Richtung Zäune.
Kilian bleibt wie angewurzelt stehen. „Wertschöpfung, Kundeninteresse, Wiederherstellung des konkreten Service Falles“. Sein Kopf rotiert. Die lassen mich hungern, um Hühner zu fangen, die sie erst in Tagen oder Wochen brauchen? Fast automatisch ist er der Mitarbeiterin gefolgt. Er steht vor dem Zaun und sieht gerade noch, wie ein Huhn den morschen Zaun zu Seite drückt und los läuft. Na, da haben wir das Problem. Oder genauer: da kommen die mehr als 50 Zwischenfälle her. Kurz die, den Hühnerfängern unbekannte Ursache, das Problem. Ein Blick zum Hofladen – dem Service Desk – dort warten die ersten Kunden mit – Kilian würde sagen – „Service Requests“.
Kilian setzt sich auf einen Baumstumpf. Das wird ja immer besser! Das ist ein Déjà-vu vom Feinsten. Nur jetzt mal mit Hühnern statt mit IT. Genauso kopflos. Sein Entschluss, die gemeinsamen Konzepte der ihm bekannten ITSM-Frameworks und Begriffe einfach anzuwenden, steht fest. Also memoriert er die Bibel aus England:
„Ein Incident oder Zwischenfall ist die Unterbrechung oder Gefährdung eines vereinbarten Services.“ Stimmt: Seine Servicenachfrage nach einem Gericht (Request) war nicht erfüllbar. Zumindest nicht sofort. Dann muss doch der Hofladen (Service Desk und einziger Kontakt des Kunden zum Service) jede einzelne Anfrage erledigen und dann die restlichen Hühner fangen. Alles andere wäre doch. Was denn? Normal oder Problemmanagement?
„Ein Problem ist die unbekannte Ursache von einem oder mehreren Zwischenfällen oder Service Unterbrechungen.“ Die Ursache beheben oder gar nicht erst Zwischenfälle entstehen zu lassen, ist Problemmanagement. Also nicht ALLE Hühner fangen, sondern die Ursache beseitigen.
Mit diesem Gedanken geht er zu seiner Vermieterin, die sichtlich aufgewühlt und gestresst zwischen Lokal, Rezeption und Hofladen hin und her rennt. «Da ist wohl eine durchlässige Stelle im Zaun. Hab ich gesehen. Durch Zufall. Da sollten Sie etwas tun.»
«Für sowas habe ich jetzt keine Zeit, wir müssen Hühner fangen.» Kilian bleibt starr stehen und nimmt sich vor, einige seiner IT Kunden als Hühnerfänger zu bezeichnen. Die Chefin ist schon wieder weg, um Kunden zu beschwichtigen.
„Ohh Mann!“, denkt Kilian, um sich sofort Gender gerecht zu verbessern „Oh. Mensch!“ Stressbolzen im Treiben denken nicht, sondern entfalten operative Hektik.
Kilian findet sich auf dem Weg zum Zaun wieder. Also da machen wir mal einen „Workaround“. Klingt ja auch viel besser als „Brett vor das Loch stellen“.
«Was machen Sie da?», wird Kilian barsch von der hinten angefahren. «Wir haben doch schon genug Ärger mit den Hühnern, da brauchen wir nicht noch einen Schlauberger, der am Zaum rum nestelt.», so fährt ihn ein gestresster Mann im Blaumann an.
(„Gibt es eigentlich auch eine Blaufrau?“, fragt sich Kilian stumm.) Kilian hatte bestimmte Fragen im Analogieschluss zu seinen IT-Erfahrungen schon erwartet. Kilians Antwort folgt also dem gewohnten Muster, nur mit anderen Worten:
«Was sie brauchen, ist einen Schlauberger, der noch mehr Bretter holt, die Löcher im Zaun sucht, zustellt und im Flur oder im Hofladen einen Zettel aufhängt, auf dem dieser bekannte Fehler dokumentiert ist. Das brauchen sie und sie sind der Mann für diese Aufgabe.»
Das Anstrengende für ihn war es, die Worte „Known Error“ und „Known Error Database“ zu vermeiden. Kilian setzt nach: «Und suchen sie auch mal nach möglichen Fehlern, BEVOR sich irgendetwas ankündigt.» Kilian war stolz über seine einfache und ausreichende Übersetzung von ‚proaktivem Problem Management‘:
Ganz leicht zog er den Kopf ein, um der erwarteten Antwort zu entgehen: Entweder: ‚Keine Zeit, muss Hühner fangen‘ oder ‚Wieso, das ist nicht mein Job.‘
So kennt es Kilian zur Genüge aus der IT. Der über diese Antwort völlig perplexe Kollege sieht ihn an, dann zum Brett, an dem schon ein Huhn nagt, dann wieder zu ihm und bleibt stumm. Kilian zieht die Augenbrauen hoch und macht eine auffordernde Bewegung. Der Hühnerfänger trollt sich. Leise sagt Kilian zu sich: ‚Zurück zum Service Request: Essen bestellen!‘, und macht sich auf den Weg zu seinem Tisch.
‚IT-SM im Hühnerstall?‘, kopfschüttelnd und im Selbstgespräch spaziert Kilian über den Hof. Am Tisch vernimmt er die frohe Kunde, ‚Schmorgerichte sind verfügbar‘ und die Küche wäre wieder ‚voll am Arbeiten!‘. Von Assoziationen überwältigt, bestellt Kilian „Coque au vin“ statt Hühnersuppe. Zügig serviert und ein wirklicher Genuss steigert sich das Wohlbefinden. Offensichtlich sind ‚der Zwischenfall‘ und ‚die Probleme‘ überwunden, denn es wird ruhiger und weniger hecktisch an den Tischen und auf dem Hof.
Seine Vermieterin geht kurz drauf von Tisch zu Tisch und spricht mit den Gästen. ‚Relationship Management‘ durchzuckt es Kilian und sofort: ‚Mensch Kerl, mach mal Feierabend!‘, ruft Kilian sich selbst stumm zu. Aber daraus sollte nichts werden.
«Vielen Dank, dass Sie uns geholfen haben. Mein Mitarbeiter hat mir von dem Brett erzählt. Was darf ich ihnen aufs Haus bringen?», setzt die Vermieterin an seinem Tisch an.
Nach seiner Bestellung kann sich Kilian nicht verkneifen zu Schlaumeiern. «Haben sie eine Sekunde Zeit?», fragt Kilian und deutet auf einen leeren Stuhl am Tisch. «Zuviel der Ehre. Ich habe kein Problem gelöst! Nur den Schaden begrenzt. Sie haben das Problem oder den Fehler immer noch. Die wirkliche Ursache, ein schwacher Zaun, ist nicht beseitigt.»
Der verständnislose Blick der wirklich sympathischen Frau animiert Kilian weiter zu reden, sobald sie sitzt. «Ich bin kein Geflügelzüchter und komme auch nicht aus der Landwirtschaft, sondern bin thematisch weit weg, nämlich in der IT, Computer und so.»
«Oh das ist gar nichts für mich. Das macht mein Bruder.», wirft sie ein. Kilian übergeht das Stereotyp und redet weiter: «Ich habe einfach nur meine Routine angewendet. Wir nennen solche Notbehelfe hochtrabend Workaround. Das sind keine Lösungen. Wir in einer guten IT würden jetzt organisiert das Thema Zaun angehen und eine wirklich bleibende Lösung schaffen. Solange halten die Bretter hoffentlich.»
Das folgende angeregte Gespräch bringt einiges zu Tage, das beachtet werden muss. Kaufmännische Fragen, der Großkunde, der regelmäßig mit hohen Ansprüchen kauft, die Strategie als Ökohof ohne Schwurbelkram, die Ausrichtung des Hofladens, die Gesundheit der Tiere und noch einiges mehr. Schnell ist klar: Zum Baumarkt fahren und Zaun kaufen, kann wirklich schief gehen. Es muss eine finanzierbare Lösung her und u.U. sogar der Großkunde mit an den Tisch.
Nachts fällt Kilian auf, wie sympathisch diese Dame war. Aber auch wie genau einige seiner ITSM Rezepte und Begriffe gepasst haben. Passt da noch mehr? Auf jeden Fall wird er versuchen, diesen Kontakt am Leben zu halten.
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